Ein Königreich für seine Gedanken – wer glaubt, man könne Tieren nicht ins Köpfchen schauen, irrt. Motto des Biologen Dr. Immanuel Birmelin: Mit Kreativität und Phantasie geht alles.
Judith: Was hat Dich dazu gebracht, Dein Leben der Erforschung von Tieren zu widmen? Immanuel: Ich glaube, da hat mich meine Kindheit sehr geprägt. Als ich etwa vier oder fünf Jahre alt war, besuchten wir oft meine Tante in München und ihre Chow Chows. Diese Hunde gefielen mir so sehr, dass meine Tante mir irgendwann einen schenkte. Mein Vater war zwar eigentlich dagegen, aber meine Mutter meinte dazu nur „wenn er will, bekommt er einen Hund“. Und natürlich wollte ich. Mein Vater war überstimmt und fand sich später sogar mit meinen Bernhardinern ab. Ich studierte dann Biologie und Chemie in Freiburg, einst Hochburg der Verhaltensforschung, promovierte in der Schweiz und arbeitete als Lehrer an Universität und Schule. Das hat mir großen Spaß gemacht.
Tiere faszinieren mich, seit ich laufen und denken kann. Besonders beeinflusst haben mich Konrad Lorenz und Bernhard Grzimek und nicht zuletzt auch Jane Goodall, die ich persönlich kennen lernen durfte. Heute leben meine Frau und ich mit über 30 Wellensittichen, einem etwas eigenbrötlerischen Fundpapagei und noch immer einem Bernhardiner zusammen. Ich reise häufig nach Afrika, um Löwen, Elefanten, Schimpansen und Gorillas zu beobachten. Die Fragen, die solche Beobachtungen aufwerfen, inspirieren mich zu den Experimenten, die mir erlauben, Einblicke in die Welt der Tiere zu gewinnen.
Welche Fragen beschäftigen Dich dabei besonders?
Wie Tiere denken und fühlen. Das ist eine ungeheuer spannende Sache. Außerdem halte ich es für sehr wichtig, mehr darüber in Erfahrung zu bringen, weil wir Tiere nur allzu oft völlig falsch einschätzen. Daraus resultiert viel Tierleid, das nicht offensichtlich wird und dabei so leicht zu verhindern wäre.
Welches Tier hat Dich am meisten verblüfft?
Intellektuell die Vögel. Vor allem die Neukaledonischen Krähen mit ihrer Fähigkeit, ganz spezifische Werkzeuge herzustellen und die ausgebufftesten Mechaniken zu durchschauen. Noch heute bin ich tief berührt von meiner Begegnung mit Alex, dem mittlerweile verstorbenen, aber sehr berühmt gewordenen Graupapagei der Forscherin Irene Pepperberg – er hat sich mit mir richtig unterhalten. Genauso wie Kanzi, ein Bonobo, der es ebenfalls zu großer Bekanntheit gebracht hat und mit dem ich via Computer kommunizieren konnte. Es ist noch gar so lange her, dass mich die Elefanten zum Staunen brachten, als ich wissen wollte, ob sie sich im Spiegel erkennen. Sie tun es – und diesen Bruch zu sehen, von anfänglicher Aggression zu Nachdenken und richtiger Schlussfolgerung, war einfach überwältigend. Wir hatten dem Elefanten eine Plastikbanane auf dem Kopf befestigt. Tiere, die sich im Spiegel nicht erkennen, ignorieren „Abweichungen“ entweder oder interessieren sich am Spiegelbild dafür. Unser Elefant jedoch griff, nachdem er sein Spiegelbild erkannt hatte, ohne zu zögern an den eigenen Kopf, um sich der Banane zu bemächtigen. Es war wundervoll.
Wie kam es dazu dass Du Dich auch einmal ausgerechnet Meerschweinchen gewidmet hast?
Dafür war mein Kollege Norbert Sachser verantwortlich, mit dem ich mich auf einer Ethologen-Tagung unterhielt. Er erzählte so unglaubliche Dinge von seinen Meerschweinchen, dass ich dachte DAS müssen ja tolle Tiere sein. Also habe ich mir gleich welche angeschafft, sie studiert und viele Experimente gemacht. Meerschweinchen sind alles andere als dumm, auch wenn man das lange geglaubt hat. Außerdem sind sie äußerst sensibel. Den kleinen Nagern verdanke ich einige Offenbarungen.
Du hast sehr viele populärwissenschaftliche Bücher geschrieben und Filme realisiert, die ein breites Publikum ansprechen und nicht nur dazu dienen, andere Wissenschaftler zu informieren. Warum ist Dir der „normale“ Tierhalter so wichtig?
Wenn ich Tiere erforsche, muss dabei etwas herauskommen, dass das Leben dieser Tiere verbessert. Und dazu muss ich den Leuten, die diese Tiere halten, Einblick in meine Forschungsergebnisse gewähren. Ich muss mein Wissen mit ihnen teilen, nur dann können wir gemeinsam etwas für unsere Tiere tun.
In Deutschland warst Du einer der ersten, die sich dem Studium tierlichen Bewusstseins und der Gefühlsfähigkeit von Tieren geöffnet haben. Dein Buch „Haben Tiere ein Bewusstsein?“ fanden zum Zeitpunkt seines Erscheinens viele Leser sehr mutig. Wurdest Du dafür von Kollegen kritisiert?
Eigentlich haben mein Freund und Co-Autor Volker Arzt und ich nur bereits bekanntes aus der Versenkung geholt, sozusagen ein „Remake“ aufgelegt. Schon Konrad Lorenz und Otto Köhler beschäftigten sich mit dem Denken und Fühlen der Tiere. Da die Fachwelt jedoch mittlerweile fast nur noch in englischer Sprache publiziert, werden die „alten“, deutschen Texte kaum noch gelesen. Deshalb erscheint vieles neu, was tatsächlich aber gar nicht neu ist.
Du hattest ja selbst immer Tiere, bis heute Deinen Bernhardiner Balou. Wie beeinflusst das, was Du mittlerweile über Hunde weißt, Deinen Umgang mit Deinen Tieren?
Ich glaube ich bin einfach sehr gelassen. Meine Hunde hatten und haben viel Freiraum, viel Spiel. Mir war immer wichtig, dass meine Tiere ihre Persönlichkeit ausleben dürfen. Sicher müssen einige Regeln im Zusammenleben sein, aber mein Maß ist da sehr begrenzt. Der Grund dafür ist ein Nebeneffekt meiner Forschungen. Im Rahmen unzähliger Experimente habe ich den Eindruck gewonnen, dass Hunde, die besonders „gut erzogen“ oder dressiert sind, in kognitiven Experimenten tendenziell schlechter abschneiden. Sie scheinen immer darauf zu warten, dass ihnen etwas „befohlen“ wird. Sie machen sich wenig bis keine eigenen Gedanken. Gerade darauf kommt es mir aber an. Nur wenn sich ein Hund überhaupt Gedanken macht, habe ich die Chance, daran Anteil zu nehmen. Und: So manche „Missetat“ entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als enorme Leistung in Sachen Intellekt und Emotionen.
Was ist Dir wichtig im Zusammenleben mit Tieren?
Ich wünsche mir, dass Tieren mehr geistige Beschäftigung zuteil wird. Nicht nur Spielzeug kaufen, sondern mit den Tieren spielen, Neugier haben und wecken, den Tieren viel Freude schenken, Gefühle ausleben und ausleben lassen und nicht nur auf die „Manieren“ schauen. Dann sind, so denke ich, nicht nur die Tiere glücklicher, sondern auch die Menschen, die mit ihnen leben.
Lieben Dank für das Gespräch!
Verein für Verhaltensforschung bei Tieren e.V.
Buchtipps
Immanuel Birmelin Macho oder Mimose?
Ein einfach nur hinreißendes Buch für alle, die Hunde mit dem Herzen sehen. Ich kopiere an dieser Stelle meine Amazon-Bewertung zum Buch – möge sie Ihnen Lust aufs Lesen machen:
„Es gibt etwas, das wir Menschen allzu leicht vergessen, wenn wir uns mit Hunden beschäftigen: Wir holen sie zu uns, weil wir uns durch sie mehr Lebensqualität erhoffen. Wir wünschen uns eine Menge von unseren Hunden: Partnerschaft und Freundschaft, mit ihnen reden und sie umsorgen können, sie als Begleiter überall bei uns zu haben, mit ihnen unsere Hobbys zu teilen. Vielleicht sogar, durch sie besondere Leistungen zu verwirklichen, wie etwa im Sport. Manchmal scheint es, als könnten wir gar nicht anders, als unsere Hunde zur Erfüllung einer Vielzahl unserer Bedürfnisse zu instrumentalisieren.
Entsprechend beschäftigen wir uns vielfach mit der Frage, wie wir unsere Hunde zu „erwünschtem Verhalten“ bzw. zur Unterlassung „unerwünschten Verhaltens“ veranlassen können. Dass Hunde ZU uns gehören, verwechseln wir dabei allzu oft damit, DASS sie uns gehören würden.
Doch jeder Hund ist anders. Jeder Hund liebt andere Dinge, hasst andere Dinge, hat vor anderen Dingen und unterschiedlich viel oder wenig Angst, wählt für sich ganz eigene Werte, beurteilt Situationen anders, ist neugieriger oder auch nicht, macht sich eigene Gedanken, reagiert individuell. Das hat entscheidenden Einfluss auf alles, was wir mit unserem Hund (oder auch gegen ihn!) tun oder unterlassen, ob bewusst oder unbewusst, absichtlich oder unabsichtlich. „Macho oder Mimose“ ist Immanuel Birmelins eindringliches Plädoyer dafür, Hunde als Individuen anzuerkennen, einen jeden mit seiner eigenen, unverwechselbaren Persönlichkeit wahrzunehmen und wertzuschätzen. Denn auch ein Hund ist eine Person, ein Jemand. Er ist nicht „etwas“.
Wer sich auf „Macho oder Mimose“ einlässt, lässt sich auf eine zutiefst berührende Begegnung mit diesem Jemand ein. Das Buch ist eine Entdeckungsreise und zugleich eine Einladung, den eigenen Vierbeiner einmal aus einem ganz anderen Blickwinkel zu betrachten: Nicht aus dem der Patentrezepte und der Funktionalitäten bzw. des „Gehorsams“. Sondern aus dem der Einzig- und Eigen-Artigkeit. Von einer Position aus, für die „Gehorsam“ keine Rolle spielt. Bücher wie dieses sind selten. Sie sagen einem nicht, was man tun oder lassen soll, sondern ermutigen dazu, das selbst zu entdecken. Auch wenn „Macho oder Mimose“ ein sehr wissenschaftliches Buch ist, hilft es uns auf bezaubernde Weise in jenen Zustand zurück, der für uns alle in Kindertagen so selbstverständlich war – als wir Meister der Entdeckung, des Staunens und auch der Einfühlsamkeit waren und uns auf unser Herz und unser Bauchgefühl verlassen konnten.
Hunden auf Augenhöhe zu begegnen und den einzelnen in seinem individuellen Sein wertzuschätzen und anzunehmen ist auch möglich, wenn wir verantwortlich sind. Wir entscheiden, was wir von unseren Hunden verlangen und warum. Und auf welchem Weg. „Macho oder Mimose“ ist auf diesem Weg so wichtig, weil es dazu anhält, die ganz eigenen Bedürfnisse, die Fähigkeiten und Sichtweisen dieses einen Hundes an unserer Seite nicht aus den Augen zu verlieren. Und so gewährleisten zu können, dass wir uns – was immer wir auch tun – nicht auf Kosten dieses Hundes zufriedenstellen.
Dass „Macho oder Mimose“ dabei Lesegenuss und Augenweide zugleich ist, setzt nur noch ein Tüpfelchen auf das i.“
Immanuel Birmelin „Von wegen Spatzenhirn! Die erstaunlichen Fähigkeiten der Vögel“
Ihr Gehirn ist nicht größer als eine Nuss, und dennoch sind ihre geistigen Fähigkeiten mit denen von Schimpansen oder Walen vergleichbar: Vogel gehören zu den klügsten Tieren auf diesem Planeten. Die verblüffendsten Forschungsergebnisse der letzten Jahre zusammenzutragen hätte schon ganz allein für ein faszinierendes Buch gesorgt. Dem bekannten Biologen und Verhaltensforscher Dr. Immanuel Birmelin ist jedoch weit mehr gelungen: Ein durchweg spannender, oft witziger und manchmal tief berührender Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt unserer gefiederten Mitbewohner in Wohnzimmer, Garten und freier Natur. Birmelin scheut sich dabei nicht, persönliche „Geschichten“ zu erzählen und seinen Respekt und innige Zuneigung zu den kleinen Königen der Lüfte zu offenbaren. Auch und gerade deshalb ist „Von wegen Spatzenhirn!“ nicht nur ein Fachbuch. Wer mal wieder Lust aufs Staunen hat und darauf, die Welt mit anderen Augen zu sehen, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Unsere Empfehlung: Unbedingt lesen!
Immanuel Birmelin „Tierisch intelligent: Von zählenden Katzen und sprechenden Affen“
Wie klug sind Tiere wirklich? Was denken sie? Was fühlen sie? Fragen, die den Biologen und Verhaltensforscher Dr. Immanuel Birmelin seit Kindertagen umtreiben. Seine Filme und Publikationen bescherten schon Millionen von Tierfreunden echte Sternstunden. Mit „Tierisch intelligent“ schreibt Birmelin sein Lebenswerk fort. „Wenige Menschen hatten und haben das Glück, den intelligentesten Tieren begegnet zu sein und sie bei ihrem Handeln zu beobachten“, sagt er. Hautnah lässt er die Leser deshalb an seinen Begegnungen mit fremden Arten teilhaben und seiner Suche nach deren Intelligenz und Gefühlen folgen. Den Hund in seinem Körbchen, die Katze auf der Fensterbank und den Vogel in seinem Käfig sieht mancher hinterher aus einem ganz neuen Blickwinkel. Birmelins großes Talent, Wissenschaft für jedermann einfühlsam und persönlich zugänglich zu machen, ist ansteckend und entfacht Begeisterung. Wer für sich selbst oder andere ein Geschenk mit wunderbaren Nebenwirkungen sucht, sollte zu „Tierisch intelligent“ greifen. Einziger Wermutstropfen: Auch dieses Buch ist irgendwann zu Ende. Obwohl man bis in alle Ewigkeiten hätte weiterlesen können.