Alles, was wir erfahren und erleben, hinterlässt Spuren in unserem „System“, auch wenn wir nicht allen Spuren Ereignisse oder Verursacher zuordnen können. Was in unserem System Spuren hinterlassen hat, beeinflusst dennoch lebenslang unser Fühlen, unser Denken und unser Verhalten. Und das nicht nur bewusst, sondern auch unbewusst und autonom. Inneres Spurenlesen ist insoweit das Kernelement von neurosensorischem Training und „Polyvagal-GfK“, wie ich es nenne, der Verbindung von Polyvagal-Theorie und Gewaltfreier Kommunikation. Es ist das Werkzeug, mit dem wir unserem authentischen Selbst auf die Spur kommen, in all seinen Facetten und verborgenen Anteilen. Das kann uns letztlich auch ermöglichen, ausgetretene Lebenspfade ebenso wie so manchen Teufelskreis zu verlassen – seinerseits bewusst, unbewusst und autonom.

Wie funktioniert das?

Beim inneren Spurenlesen „füttern“ wir unser System mit Informationen – welche auch immer gerade da sind. Wir „zeigen“ uns quasi selbst, was es aktuell im Jetzt & Hier zu sehen gibt, was zu hören da ist, zu riechen, zu schmecken, zu tasten. Parallel dazu tracken wir, was in uns als Reaktion auf das ‚Gezeigte‘ passiert. Ich verwende den Anglizismus „tracken“ gerne als Synonym für „Spurenlesen“, weil im „Tracken“ eine ausgeprägtere Ernsthaftigkeit mitschwingt. Inneres Spurenlesen hat nicht den Anspruch, vergnüglich zu sein. Es zielt auf wahres Kennenlernen ab und auf die Erforschung und Beantwortung von Fragen wie

Warum nehme ich etwas so wahr, wie ich es wahrnehme?
Warum nehme ich etwas so anders wahr als andere, die sich in derselben Situation befinden?
Was braucht mein System individuell, um Wahrnehmungen selbsttätig ändern zu können, wenn sie nicht der Wahrheit entsprechen und meine Lebensqualität beeinträchtigen – und zwar ohne, dass ich irgendetwas tun oder mir „einreden“ muss und auch ohne, dass ich mich „anstrenge“?

Inneres Spurenlesen & Wahrnehmung

Das Wort „Wahrnehmung“ wird häufig als Synonym für „bemerken“ verwendet, beschreibt tatsächlich aber nicht nur das Bemerken von etwas, sondern auch, wie das bemerkte Etwas innerhalb unseres Nervensystems weiterverarbeitet wird. Im Fachjargon wird Wahrnehmung deshalb als „Prozess der aktiven Auseinandersetzung mit Sinnesreizen“ definiert. Zu Wahrnehmung zählen damit auch die Verbindungen, die unser System zwischen den Spuren der Vergangenheit und aktuellen Gegebenheiten herstellt, um uns mithilfe von inneren Bildern, Gedanken, Gefühlen, Emotionen und Empfindungen darüber aufzuklären, was bestimmte Sinnesreize für uns wahrscheinlich bedeuten. Diese „Wahrscheinlichkeitsberechnung“ liegt all unseren Reaktionen zugrunde, denn damit wir zu möglichst angemessenem Verhalten befähigt werden, muss unsere Lebensenergie in die richtigen Bahnen gelenkt werden.

Lenkt unser System unsere Lebensenergie in nicht ganz richtige oder sogar falsche Bahnen, reagieren wir in vielfältiger Weise nicht so, wie es die Situation in Wahrheit erfordern würde. Wir merken das beispielsweise daran, dass wir „aus Mücken Elefanten machen“, überreagieren, ausbrennen, Panik schieben, uns zu diversen Kompensationen hinreißen lassen, Abhängigkeiten entwickeln (auch emotionale) oder psychisch, psychosomatisch oder chronisch „erkranken“. Aufbauend auf innerem Spurenlesen kann es uns gelingen, die den Problematiken zugrundeliegenden Dynamiken aufzubrechen, um in unserem Leben Transformation, Entwicklung und Veränderung in bewusster und empathischer Zusammenarbeit mit unserem System zu realisieren – anstatt immerfort mit ihm zu ringen.

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