Der Begriff „Trauma“ steht ganz allgemein für eine „Verletzung“. Solch eine Verletzung kann auf vielen Ebenen stattfinden bzw. stattgefunden haben, physisch, psychisch und mental.
Die meisten Menschen denken bei „Trauma“ an ein schreckliches Ereignis, das jemandem widerfahren sein muss, um eben eine körperliche, seelische oder mentale Verletzung hervorzurufen. Auf Körperebene ist ein Trauma oft sichtbar – als gebrochener Knochen, als Bluterguss, als offene Wunde etc. Auf seelischer oder mentaler Ebene sind Verletzungen zumeist weniger offensichtlich. Allenfalls offenbaren sie sich in diversen, bisweilen „dysfunktionalen“ Verhaltensweisen, in Charakterzügen, Persönlichkeitsmerkmalen und ähnlichem.
Vor allem seelische und mentale Traumata gelten vielfach noch immer als nicht heilbar. Deshalb konzentrieren sich zahlreiche Behandlungsansätze auf die Beseitigung der aus einem Trauma resultierenden Symptome. Die Therapien haben in der Regel das Ziel, die Symptome so weit abzuschwächen, dass sie nicht mehr „stören“ oder nicht mehr (so sehr) belasten.
Symptom-Freiheit ist nicht zwangsläufig Heilung
„Symptom-Freiheit“ bedeutet leider nicht, dass die psychischen oder mentalen Verletzungen „weg“ sein müssen. Oft bleiben diese trotz „Behandlung“ bestehen, der Betroffene „merkt bloß nichts mehr davon“ – oder nicht mehr so viel. Wie gut es sich damit lebt, ist von Einzelfall zu Einzelfall unterschiedlich und sehr individuell. Den einen genügt es, dauerhaft etwas zu brauchen – vom Medikament bis zur Psychotherapie. Die anderen möchten von dergleichen „loskommen“ oder mindestens Dosierungen verringern oder das „Brauchen“ abschwächen. Diese Menschen beschreiten häufig einen ganz eigenen Weg zur Heilung – und heilen sich letztendlich selbst. Das ist auch bei neurosensorischem Training der Fall. Ich verfolge diesbezüglich einen lehrenden, pädagogischen Ansatz und bezeichne mich selbst nicht als „Therapeutin“. Sie sind die Therapie – und der Therapeut. Sie selbst.
Doch zurück zum Thema und den seelischen und mentalen Traumata. Tatsächlich gehen diese sehr viel tiefer als „nur“ in die sogenannte Psyche. Auch seelische und mentale Traumata betreffen den Körper, die Zellen, die Organsysteme. Denn seelische und mentale Traumata bestehen in einer „Verletzung“ des Nervensystems. Eine solche „Verletzung“ besteht im Verlust der bzw. eines Teils der autonomen Selbstregulationsfähigkeit des Organismus. Sie kann auf vielerlei Weise hervorgerufen werden.
Arten von Trauma
Es gibt verschiedene Trauma-Arten, die allein oder in Kombination auftreten können:
Schocktrauma
Das Schocktrauma ist das bekannteste Trauma und zugleich das, das tatsächlich an ein offensichtlich „schreckliches Ereignis“ geknüpft ist. Es kann Folge eines Unfalls sein, eines gewalttätigen Übergriffes, einer Katastrophe, eines Verlustes etc.
Entwicklungstrauma
Das Entwicklungstrauma ist das häufigste und am weitesten verbreitetste Trauma. Es bleibt fast immer unentdeckt und unbehandelt, weil die allermeisten Menschen weder wissen noch ahnen, dass sie davon betroffen sind. „Macken“ und Problematiken, die auf Entwicklungstraumata zurückzuführen sind, werden häufig irgendwelchen „Persönlichkeitstypen“ zugeschrieben. Ein Entwicklungstrauma entsteht, wenn in unseren frühen Jahren Dinge geschehen, die nicht geschehen sollten und/oder Dinge nicht geschehen, die aber geschehen sollten. Wenn das dazu führt, dass das Nervensystem des Betroffenen nicht voll zur Reife gelangt und insbesondere seine Fähigkeiten und Kapazitäten zu autonomer (!) Selbstregulation nicht vollständig ausbildet, liegt ein Entwicklungstrauma vor. Die Neurozeption spielt hier eine entscheidende Rolle.
Mikro-Trauma
Hierunter fallen Alltagsbelastungen, die ein Ausmaß annehmen, das vom Organismus nicht mehr bewältigt werden kann. Jede einzelne Belastung für sich würde kein Problem darstellen, aber in ihrer Summe lassen die Belastungen die Überlebensprogramme des Körpers anspringen: Kampf, Flucht, Freeze. Wenn das zum Dauerzustand wird und der Organismus seine Selbstregulationsfähigkeit verliert, hat man es mit Mikro-Traumata zu tun.
Ein Trauma ist kein schreckliches Ereignis
Ein Trauma besteht niemals in einem Ereignis. Entsprechend ist ein Trauma nicht das, was uns passiert. Aus dem, was uns passiert, kann lediglich ein Trauma erwachsen. Das geschieht nur dann, wenn sich der Organismus von dem Ereignis nicht vollständig erholt, wenn also „etwas“ von dem, was im Zuge des Ereignisses geschah, „steckenbleibt“.
Was kann „steckenbleiben“?
„Steckenbleiben“ kann nur etwas, was der Organismus in der Situation gemacht hat – und zwar autonom, also ohne, dass wir es mit unserem Willen hätten beeinflussen können. Das weist auch schon darauf hin, dass daran unser autonomes Nervensystem beteiligt ist. Über unser autonomes Nervensystem (Vegetativum) werden unsere Organfunktionen geregelt. Das geschieht auf der Basis von Neurozeption, mit der unser ‚System‘ den Gefahrengehalt von Situationen bewertet. Wenn es etwas als gefährlich einstuft, regelt es unsere Organfunktionen so, dass uns genau das Verhalten zur Verfügung steht, was erforderlich ist, um die Situation bestmöglich zu überleben, vom Adrenalin bis zum Sauerstoffgehalt in unserem Blut. Haben wir überlebt, hat unser ‚System‘ eine Erinnerung an das gespeichert, was es getan hat, um unser Überleben zu gewährleisten. Es merkt sich sozusagen, welche Organfunktionen in welcher Weise online und offline waren. Das ist aber nicht die einzige Erinnerung („Lehre“), die abgespeichert wird.
Der „Schnappschuss“
In einer Situation, die unsere Neurozeption als gefährlich einstuft, wird auch eine Erinnerung an die Begleitumstände der Situation festgehalten. Unser ‚System‘ macht quasi einen „Schnappschuss“ von allem, was in jenem Augenblick da war: Licht, Geräusche, Jahreszeit, Farben, Objekte, Menschen, Tiere, Gerüche, geografische Umgebung – wir können uns ausrechnen, was bei 11 Millionen Sinneseinrücken pro Sekunde zusammenkommt.
Ein Trauma haben wir, wenn sich unser Nervensystem diesen „Schnappschuss“ und seine Überlebensreaktion so gut merkt, dass es künftige ähnliche Situationen nicht neu bewertet, sondern direkt wieder unsere Überlebensprogramme hochfährt. Ohne dass wir das verhindern oder auch nur beeinflussen könnten – und zwar auch dann, wenn an der Situation jetzt überhaupt nichts gefährlich ist. Unsere Neurozeption wähnt lediglich eine Gefahr, weil irgendetwas „genauso ist wie damals“ (Wahrnehmung vs. Wahrheit). Das ‚Programm‘ unterwandert unseren Willen und unseren Verstand. Es agiert vollkommen autonom, und bei 11 Millionen Sinneseindrücken pro Sekunde sind die Auslöser nur schwer zu identifizieren (hier setzt im Übrigen das innere Spurenlesen an). Bloße Symptombehandlungen „drücken tiefer“, was das ‚System‘ hinausbefördern will (deshalb sind die „Nebenwirkungen“, die neurosensorisches Training haben kann, gute Zeichen – auch, wenn sie bisweilen nicht angenehm sind).
Die gute Nachricht
Ein Nervensystem, das sich aufgrund eines Traumas autonom nicht oder nicht gut selbst regulieren kann, ein Nervensystem, in dem ein Trauma „feststeckt“, kann sich die Fähigkeit zur Selbstregulation und die Kapazitäten zur besseren Stressverarbeitung nachträglich aneignen bzw. zurückgewinnen. Der Prozess beruht auf Neuroplastizität. Der Begriff beschreibt, dass unser Nervensystem lebenslang und egal, wie alt wir sind, veränderbar ist. Neurosensorisches Training ist eine Herangehensweise, bei der Sie selbst desbezüglich das wichtigste Element sind. Den Erfolg fühlen Sie – und er fühlt sich gut an.